Donnerstag, 4. Oktober 2012

Arte im LARP-Rausch

Nach dem Transmedia-Projekt "The Spiral" hat Arte offenbar Blut geleckt und geht unter dem Titel Improvisieren sie die Fortsetzung von Tournee einen Schritt weiter in Richtung LARP:
Am 12. November 2012 zeigt ARTE im Rahmen seines FilmFestivals den Film "Tournee" des französischen Regisseurs Mathieu Amalric. Begleitet wird die Ausstrahlung von einem ganz besonderen, innovativen Event: In einem Liverollenspiel zum Film haben Sie die Möglichkeit, selbst in die Rolle einer Filmfigur zu schlüpfen und die burleske Welt von "Tournee" hautnah mitzuerleben! Zwei Gruppen von 29 Spielern werden zeitgleich in der Nacht vom 29. zum 30. Oktober in Berlin und Paris ein Ende zu dem Film improvisieren.
Die Mitspieler für dieses Projekt werden öffentlich gesucht und können sich bis zum 14. Oktober bewerben.
Aus meiner Sicht als begeisterter Live-Rollenspieler ist das eine tolle Sache, die ich mit meiner folgenden Kritik an der Außendarstellung auch nicht schmälern will. Dennoch sind mir in der Beschreibung einige Punkte sauer aufgestoßen.

Los geht es damit, dass man bei Arte offenbar nur grob verstanden hat was LARP ist und wie es sich von diesem ominösen Nordic Larp unterscheidet, von dem man in Medienkreisen so viel gehört hat. Die Seite wurde mittlerweile überarbeitet, aber am 3. Oktober las sich das Ganze ungefähr wie folgt:
LARP ist irgendwie AD&D, auf jeden Fall aber Fantasy, während Nordic Larp irgendwie das Neue Ding ist und irgendwie nichts mit diesem schmuddeligen Fantasy-LARP zu tun hat.
Wie gesagt, so ganz klar war man sich offenbar nicht, es reichte aber für ein paar coole Buzzwords (komplex, emotional, authentisch ...) für das gelobte Nordic Larp. Die dürften aus dem Mund von Vertretern der so gelobten Skandinavischen LARP-Stilrichtung stammen, die ihr Produkt an den Fernsehsender verkaufen wollten. Nun kann ich es geschäftstüchtigen Künstlern nur bedingt übel nehmen, wenn sie es mit Definitionsfragen nicht ganz genau nehmen und die Welt sehr simpel in cool (ihr Produkt) und uncool (der Rest) unterteilen. Von einem Medienunternehmen erwarte ich allerdings, dass es solche Mechanismen erkennt und hinterfragt.

Aber noch bevor ich mich näher mit der Angelegenheit beschäftigen konnte (zum Beispiel diesen Blog-Beitrag schreiben) sind offenbar die Vertreter des nicht-nordischen Oldschool-LARP zur Gegenoffensive übergegangen (Hacker? Böse Briefe? AD&D-Zaubersprüche?). Die Seite wurde überarbeitet und die meisten Spuren des "bösen, ausländischen Aggressors" Nordic Larp wurden getilgt. Dafür gibt es jetzt einen unkommentierten Link zum Deutschen Liverollenspiel Verband. Gut, der Einstiegssatz macht nach dieser Säuberungsaktion keinen Sinn mehr:
Das Schlüsselwort zu diesem außergewöhnlichen Erlebnis heißt "Larp" (kurz für "Live Action Role Playing") und bezeichnet eine innovative Form des Liverollenspiels. 
LARP als innovative Form des Live-Rollenspiels .. aha. Schwamm drüber, denn dafür gelten alle coolen Buzzwords nun offenbar ganz allgemein und bedingungslos für LARP. Wer schon mal auf der klassischen Fantasy-finde-die-drei-Teile-des-magischen-Dingsbums-um-den-schlecht-kostümierten-Oberbösewicht-daran-zu-hindern-das-uralte-Dimensionstor-aus-bemaltem-Styropor-zu-durchschreiten-Veranstaltung war, kann bei folgender LARP-Definition nur den Kopf schütteln:
Dabei sind die improvisierten Szenarien stets zeitgenössisch-authentisch und stellen die Teilnehmer vor komplexe emotionale, psychische und zwischenmenschliche Herausforderungen.
So gerne ich als LARPer solche Worte über mein Hobby in einem Medium des kulturellen Mainstreams lese, dem verkappten Journalisten in mir dreht sich der Magen um. Ich plädiere zwar auch immer gerne dafür LARP-Erklärungen für ein nicht-larpendes Publikum zu vereinfachen, aber so liest sich der Beitrag als wäre jedes einzelne LARP ein höchst wertvolles Stück Kunst. Dabei unterscheidet sich das Medium LARP in dieser Hinsicht gar nicht so sehr vom Medium Fernsehen: es gibt sehr viel billig produzierten Trash und lahme Wiederholungen, eine Menge solider Unterhaltung und ein paar künstlerisch wertvolle Perlen. Das zu erklären kann doch nicht zu komplex sein für den durchschnittlichen Arte-Zuschauer?

Noch eine Stilblüte am Rande:
Bei einer in Mitteleuropa noch völlig unbekannten Variante des Nordic Larps schlüpfen hier die Spieler in die Rollen von Figuren aus bekannten Filmen, deren Plot als Ausgangsmaterial für die Entwicklung der Spielhandlung dient. Wir haben dazu das Verb "larpen" erfunden. 
Abgesehen davon, dass diese Variante des LARPs weder exklusiv "Nordic" noch in Mitteleuropa völlig unbekannt ist: Arte hat das Verb "larpen" erfunden? Sieh mal einer an, und ich dachte immer das wäre schon seit den 90er Jahren unter Live-Rollenspielern verbreitet. Aber man lernt ja nicht aus. Zugegebenermaßen ist das möglicherweise einfach nur ein peinlicher Übersetzungsfehler aus dem Französischen (so wie der ganze Beitrag gestern noch sehr holprig übersetzt wirkte). Im Original beschränkt sich Arte einem französischen LARPer zu Folge darauf nur den Terminus "einen Film larpen" erfunden zu haben. Meinetwegen, wenn man sich dann beim Sender besser fühlt ...

Lange Rede kurzer Sinn: Wie schon eingangs gesagt finde ich es toll, dass sich Arte mit dem Medium LARP und seinen künstlerischen Möglichkeiten auseinandersetzt. Noch toller wäre es, wenn der Sender bei seinen ersten unbeholfenen Schritten in diesem unbekannten Medium nicht wie ein selbstgewisser Elefant im Porzellanladen auftreten würde, und vollmundig ankündigt Räder neu zu erfinden, die an anderer Stelle längst benutzt werden.

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