Montag, 5. Juli 2010

Fantazjada 15 - Mit dem Schwert nach Polen ...

Ich bin zwar weder arbeitsloser Schustergeselle, noch im Besitz eines coolen Ninjadress ... trotzdem habe ich mich vor kurzem von einem alten Ärzte-Song (und einem Artikel über Live-Rollenspiel in Polen in der LARPzeit #26) inspirieren lassen und unseren Nachbarn im Osten einen "bewaffneten Besuch" abgestattet. Ziel war das Con Fantazjada 15, das (grob) in der Region um Wroclaw (Breslau) stattfand. Hier ist ein kleiner Reisebericht:

Termin: 3. bis 6. Juni 2010
Ort: Srebrna Góra (Festung Silberberg)
Veranstalter: Deadline-Team
Homepage: www.fantazjada.pl
Genre: Fantasy
Unterbringung: eigene Zelte
Verpflegung: Teilverpflegung
Teilnehmer/Kosten: ca. 330 Teilnehmer ab 45 Zloty (ca. 11 Euro)
Regeln: eigenes Regelwerk

Die Strafexpedition wirkte bei ihrem Aufbruch fast so entspannt wie der Ausflug zu einem Picknick. 50 Helden, darunter tapfere Stadtwachen, Adlige nebst Gefolge, Glücksritter und Abenteurer, zogen los, um tief im Wald ein kleines Dorf aus den Klauen der Orks zu befreien und den Grünhäuten eine Lektion zu erteilen. Allerdings erwiesen sich die Orks nicht nur als zahlenmäßig gleichwertig, sie verfügten zudem über deutlich überlegene magische Unterstützung. Die eigentliche Schlacht dauerte gerade einmal zwei Minuten, dann war knapp die Hälfte der losgezogenen Helden tot. Der Rest flüchtete Hals über Kopf durch den Wald – einen Wald, in dem plötzlich jeder Baum und Strauch bedrohlich erschien ...

Schon diese kleine Geschichte zeigt: Auf dem Fantazjada ging es mitunter deutlich rauer zu als auf typischen deutschen Spielen (vielleicht mit Ausnahme der Spiele der Diletantten) und ein Charaktertod war nichts Ungewöhnliches.
Auch sonst war vieles anders als von Live-Rollenspielen in Deutschland gewohnt. So kamen statt Latexwaffen überwiegend getapete Polsterwaffen zum Einsatz und auch der Kampfstil war etwas härter und ging mit mehr blauen Flecken einher (Kopftreffer und Stiche waren allerdings auch auf diesem Spiel untersagt).
Die Bandbreite der Kostüme der Mitspieler deckte alles ab von Reenactment-Qualität bis hin zu Huch ... ist das wirklich schon das Kostüm?. Im Durchschnitt war der Kostümstandard sicher niedriger als in Deutschland, was vielleicht auch dem deutlich jüngeren Durchschnittsalter der Teilnehmer geschuldet war. Das wurde aber aufgewogen durch das wirklich spannende Spiel und die atemberaubend urtümliche Landschaft rund um die Festung Srebrna Góra (ehemals Festung Silberberg).

Typische NSCs gab es nur verschwindend wenige, auch die bösen Rollen wie Orks oder Kultisten wurden überwiegend von Spielern verkörpert. Ausnahmen waren kurze Auftritte von Plot-NSCs oder besonderen Monstern, zum Beispiel einer riesigen Gottesanbeterin (siehe z.B. hier und hier).
Außerdem waren die Charaktere weit enger miteinander und mit dem Spiel verknüpft als es meistens in Deutschland der Fall ist. Umherziehende Banden von Abenteurern, die nur zufällig am Ort des Geschehens auftauchen, gab es nicht, alle Charaktere hatten im Spiel einen guten Grund anwesend zu sein (z.B. weil sie als reisende Händler Ware in die Stadt brachten, um die sich das Spiel drehte, oder weil sie Bewohner der Stadt waren). Teilweise wurden sie komplett vorgegeben, teilweise von den Spielern in Abstimmung mit der Spielleitung entwickelt. Interessant anzusehen waren aber auf jeden Fall die Einflüsse slawischer Geschichte und slawischer Sagen und Märchen auf Kostüme und Spiel.

Die einzelnen Charaktere und Gruppen hatten jeweils vorgegebene Ziele, die meist mit den Zielen anderer in Konkurrenz standen. Die Handelsgilde musste interne Monopolstreitigkeiten und peinliche Vaterschaftsfragen klären, die Inquisition war auf der Jagd nach Ketzern und im Wald lieferten sich Elfen und Orks blutige Scharmützel. Einen klassischen, gruppenübergreifenden Plot (Der Erzdämon, der am Samstagabend durch das dunkle Portal tritt, wenn die Spieler bis dahin nicht die sieben heiligen Kristalle gefunden haben ...) suchte man dagegen vergebens – oder ich habe aufgrund der Sprachbarriere nichts davon mitbekommen ...
Apropos Sprachbarriere: Das Spiel lief natürlich auf Polnisch, davon muss man sich aber nicht abschrecken lassen. Auch wenn ich viele Feinheiten und Plotdetails vielleicht nicht mitbekommen habe, bin ich mit Englisch im Spiel sehr gut zurecht gekommen. Zudem gab es überraschend viele Mitspieler, die gut Deutsch sprechen konnten.

Etwas gewöhnungsbedürftig war, dass das Spiel abends unterbrochen wurde. Nicht nur fanden nachts kein Plot und keine Kämpfe statt, die Spieler gingen out-time und machten andere Dinge. Es gab zum Beispiel von den Veranstaltern organisierte Abendunterhaltung oder man traf sich im nahegelegenen Dorf in einer Kneipe zum Plaudern.
Das ganze Spiel war übrigens alkoholfrei, das heißt es gab weder in der Taverne echte alkoholische Getränke (Zitronentee wurde dort als „Bier“ verkauft), noch durfte man sie aufs Gelände mitbringen – für manchen sicherlich ein weiterer Grund für den abendlichen Abstecher in die Kneipe ... Diese Regelung hing damit zusammen, dass die Veranstaltung mit Fördergeldern der Europäischen Union sowie des polnischen Familienministeriums unterstützt wurde. Außerdem gab es viele Minderjährige unter den Teilnehmern.

Wirklich herausragend war die Umsetzung des Währungs- und Handelssystems. Das Spiel wartete nicht nur mit schönen, selbstgeprägten Münzen auf – die Teilnehmer bekamen diese, jeweils abhängig von ihrer Rolle, auch reichlich ausgeteilt, so dass man im Spiel nicht knausern musste (mein Startgeld bestand z.B. aus knapp 40 Münzen). Allerdings wurde das Geld am Ende des Spiels wieder eingesammelt.
Auch Handelswaren, die einzelne Spielergruppen verkaufen sollten, waren physisch vorhanden. So stattete die Spielleitung eine Gruppe Salzhändler zur in-time-Anreise mit mehreren (nicht gerade leichten und vor allem recht unhandlichen) Säcken Salz aus, die diese sicher in die Stadt bringen und im Laufe des Spiels gewinnbringend verkaufen sollten. Insgesamt war das Wirtschaftssystem vielleicht nicht immer realistisch, aber es funktionierte (und hat Spaß gemacht).

Alles in allem war es eine wirklich interessante Erfahrung und ein spannendes Spiel. Wer sich von der fremden Sprache nicht schrecken lässt und Spaß hat, sich auf eine wirklich fremde Art des Live-Rollenspiels einzulassen (Und mal ehrlich, wer möchte schon hunderte Kilometer Anreise in Kauf nehmen, nur um dann LARP ganz wie zu hause zu erleben?), dem kann ich einen solchen Abstecher nach Polen sehr empfehlen.

Ein paar Bilder der Veranstaltung finden sich unter anderem hier auf Facebook.

1 Kommentar:

  1. Danke für die Eindrücke. Hatten letztes Jahr mit dem Gedanken gespielt hinzufahren, mal schauen...

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